Wir erzählen nicht mehr
21.07.2014

„In der Auswertung riesiger Datenmengen verlängern die Algorithmen das, was die Nutzer zuvor getan, gewollt, geliebt haben, in die Zukunft. Provokant formuliert liesse sich sagen: Die Nutzer werden zu einer endlosen Zeitschleife ihrer selbst, zu ihrem immerwährenden Status quo.“ In diesem Zitat definiert Miriam Meckel, Direktorin am Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen den Begriff Ego-Loop [NZZ, 27.09.2012]. Sie bezeichnet damit einen Umstand, der in den vergangenen Jahren stetig an Bedeutung gewonnen hat. Seit Google Ende 2009 begonnen hat, die Suchergebnisse zu personalisieren, werden uns diejenigen Suchresultate gebracht, die wir schon in der Vergangenheit als hilfreich und nützlich taxiert haben. Das Phänomen ist inzwischen weit über die Suche im Web hinausgewachsen: Spotify empfiehlt mir Musik aufgrund dessen, was mir in der Vergangenheit gefallen hat, Netflix tut das gleiche für Serien. Der Verdrängungskampf zwischen den unterschiedlichen Streaming-Diensten wird derjenige gewinnen, der mir zu jeder Zeit und in jeder Stimmung das passende Programm empfehlen kann. Es wird komfortabel im Ego-Loop.

Selbstverständlich könnten wir die Algorithmen jederzeit umgehen, jederzeit ausbrechen aus diesem Kreislauf. Aber werden wir dies auch tun, wenn sie zur Normalität geworden sind?

Als ich mich vor nunmehr 20 Jahren selbständig machte, gab mir mein Götti mit: „Das Wichtigste ist, dass du mit jemandem über die Arbeit sprechen kannst. Nicht mit Kunden, die dich bezahlen, sondern mit Freunden, mit der Familie.“ Ob ich den Ratschlag in der ganzen Tragweite damals schon erfasst habe? Wohl kaum. Aber ich habe ihn befolgt. Mein Götti ist kein Mann vieler Worte.

Eine der Schwierigkeiten an der Selbständigkeit ist die Tatsache, dass man nicht per se Menschen hat, mit denen man sich über die Arbeit austauschen kann. Man ist plötzlich nicht mehr Mitglied einer Gruppe, eines Führungsteams, einer Geschäftsleitung, die die gleichen Herausforderungen und Ziele hat. Auf der einen Seite geht es sicherlich um die eigene Psychohygiene, dass man sich jemandem mitteilen kann, dass man auch mal dem alltäglichen Ärger Luft machen kann, dass man Erlebnisse verarbeiten kann. Ebenso wichtig ist aber auch die konstante Standortbestimmung, das Zulassen von Zweifel, den Widerspruch an seinen Unternehmungen und Plänen. Die Gefahr, im Ego-Loop nur noch den Status quo zu pflegen, droht nicht nur Personen, sondern auch Unternehmen. Je kleiner und homogener die Gruppe auf der jeweiligen Hierarchiestufe ist, desto grösser ist die Gefahr, dass niemand da ist, der als Sparringpartner, also Advocatus Diaboli dient. Könige hielten sich genau zu diesem Zweck Hofnarren, die ihnen sagen durften, was sich sonst niemand getraute. Für sie galt die sprichwörtliche Narrenfreiheit, die es ihnen erlaubte, ungestraft Kritik an den bestehenden Verhältnissen zu üben. Schade wird weder der Rolle noch der damit einhergehenden Freiheit heute irgendeine Bedeutung zugemessen. Es gibt unzählige Beispiele von einst mächtigen Unternehmen, die es heute de facto nicht mehr gibt, weil jede Kritik, jeder Zweifel im Keim erstickt wurden. Wie viel einfacher ist es doch, einem unbequemen Mitarbeiter zu künden, als seine eigenen Ziele und Ideen zu hinterfragen. Oder von Beginn weg nur Mitarbeitende anzustellen, die Ja sagen zu all meinen Vorschlägen anstelle von anstrengenden Diskussionen in heterogenen Teams.

Hanns Eisler, der österreichische Komponist und musikalische Weggefährte von Bertolt Brecht beleuchtet die Gefahr des Ego Loops noch von einer anderen Seite: „Wer nur etwas von Musik versteht, versteht auch davon nichts.“ Dreht sich das ganz Leben nur noch um einen einzigen Wert, wird dieser am Ende wertlos. Nicht nur ist Innovation unmöglich, wenn man sich nur um sich kümmert und bestenfalls noch seinen Markt und seine Kunden kennt, es können auch disruptive Bedrohungen nicht erkannt werden und gefährden somit früher oder später das Kerngeschäft. Ich bin mir bewusst, es ist viel anstrengender, sich dem Zweifel zu stellen, sich der Kritik des Hofnarren auszusetzen als sich abzuschotten und sich im Ego-Loop zu drehen. Am Ende ist vielleicht aber genau dies der Unterschied zwischen Verwalter und Unternehmer, oder wie ein guter Freund von mir sagt: zwischen Bünzli und Rock‘n’Roll.

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